Wollen wir wirklich über den Besseggen?
Als wir 2013 unsere Mehrtages-Tour mit dem Rucksack von Hütte zu Hütte durch das Jotunheimen gegangen sind, hatten wir schon einmal mit einem Abschnitt über den Besseggen geliebäugelt. Doch damals erschien uns die Tour als ungeeignet, da Sirko mit extrem abschüssigen Passagen so seine Probleme hat. Damit hätten wir im Zweifelsfall unsere Rundtour nicht wie geplant zu Ende gehen können.
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Uns ließ diese populäre Tour mit dem sagenhaften Ausblick aber so nie ganz los und so beschäftigten wir uns erneut mit dem schmalen Grat im Jotunheimen. 2017 wurde diese Wanderung vom renommierten Magazin “National Geographic” in die Liste der 19 spannendsten Wanderungen weltweit aufgenommen. Na, da muss doch was gehen. Nach intensiven Recherchen im Internet und Gesprächen mit einigen Norwegern kommen wir dann auch zu dem Entschluss: Ja, das könnte gehen…
Wir reisen an den See Gjende
Auf in die Heimat der Riesen, wie das Jotunheimen ins Deutsche übersetzt heißt. Wir lieben diesen fantastischen Nationalpark mit seiner einmalig schönen und ursprünglichen Landschaft. Schon beim Durchqueren mit dem Auto bekommt man Lust, sofort seine Wanderschuhe anzuziehen und einfach drauflos zu stiefeln. Wir nähern uns über die Straße RV 51 dem bekannten See Gjende, an dessen Seiten viele interessante Wanderungen entlang führen und auch einige Hütten des DNT (Norwegischer Wander- und Touristenverein) liegen. An seiner Nordseite findet man auch den berühmt-berüchtigten Besseggengrat.
Als wir die Berghütte “Gjendesheim Fjellstue” erreichen und damit auch wieder Internet-Empfang haben, checken wir zuerst das Wetter: Für den nächsten Tag wird ein Mix aus Sonne und Wolken vorhergesagt, und dazu wenig Wind. Perfekt! Unweit der Berghütte finden wir einen hübschen Stellplatz mit unserem Van für die kommende Nacht, packen unsere Rucksäcke für die Wanderung und lassen anschließend den Abend gemütlich ausklingen.
Wir brechen auf
Es ist erst 6:00 Uhr als der Wecker klingelt; die Sonne lacht bereits und so rollen wir nach einem kleinen Frühstück in Richtung Gjendesheim. Zum Glück finden wir noch ein Parkplatz, denn dieser ist schon jetzt gut gefüllt.
Wir haben nun drei Möglichkeiten den Besseggen zu überqueren:
Variante 1: Man wandert direkt von der Gjendesheim Berghütte über den Grad zur Hütte Memurubu, um anschließend von dort mit einem Boot zum Ausgangspunkt zurückgebracht zu werden.
Variante 2: Die entgegengesetzte Richtung: Man fährt mit dem Boot vom Anleger neben der Gjendesheim Berghütte bis zur Memurubu Berghütte, steigt von dort auf, um nach dem Besseggen wieder zur Gjendesheim Hütte abzusteigen.
Variante 3: Man geht die Strecke, ohne das Schiff zu nutzen. Dazu überquert man den Besseggengrat in eine Richtung und geht in einer Rundtour das Gegenstück dann direkt unten neben dem See. Diese Tour ist aber nicht zu unterschätzen und wird von den Wenigsten so gegangen.
Für uns ist die zweite Variante klar besser geeignet, da man so die steilste und schmalste Passage bergauf geht. Außerdem kann man sich auf diesem Weg Zeit lassen und gerät nicht unter Druck, das letzte Boot (welches bereits gegen 17:00 Uhr zur Gjendesheim Hütte zurückfährt) zu schaffen.
Tickets für das Boot? Ausverkauft!
Wir haben noch genug Zeit, bis das erste Boot um 7:45 Uhr zur Memurubu ablegt und so schlendern wir gemütlich zum Ticketverkauf.
„Zwei Tickets zur Memurubu bitte“: sprechen wir die freundliche Verkäuferin an. Mit der Antwort haben wir allerdings nicht gerechnet: Alle Plätze ausverkauft. Jetzt schon? Noch schlimmer, auch auf den folgenden Booten gibt es keine freien Plätze mehr. Erst gegen 11:00 Uhr hätten wir eine Chance mitzufahren. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten: Man kann die Tickets auch online buchen und dieser Service erfreut sich scheinbar großer Beliebtheit.
Wir müssen uns beratschlagen! Sollen wir die Tour doch andersherum gehen, oder gar verschieben? Da spricht uns ein netter Mann an, der unser Dilemma mitbekommen hat: Wir sollen auf jeden Fall am Boot fragen. Manchmal hat man Glück und es gibt doch noch freie Plätze. Wir bedanken uns für den Tipp! Das probieren wir. An der Anlegestelle wird es immer voller und unsere Hoffnung auf einen Platz schwindet.
Als endlich alle mit online gebuchten Tickets das Boot betreten haben, gibt es offensichtlich noch vier freie Plätze und damit auch zwei für uns : Juhu!
Wir sind überglücklich, dass es doch noch geklappt hat. Ohne den Tipp des Einheimischen hätten wir diese Tour wahrscheinlich verschoben.
Das Abenteuer beginnt
Jetzt genießen wir die Bootsfahrt über den smaragdgrün funkelten Gjendesees. Die Fahrt dauert etwa zwanzig Minuten. Nach kurzer Zeit sehen wir bereits die Anlegestelle der Memurubu in der Ferne. Nach dem Anlegen strömen knapp hundert Personen in Richtung Besseggen. Doch wir lassen uns bewusst Zeit und schwelgen erst einmal in Erinnerungen, denn 2013, auf unserer Jotunheimen Tour, hatten wir hier übernachtet… Toll ist im Übrigen der “Rucksack-Service” über den See. So kann man ohne schweres Gebäck zum Beispiel von der Gjendebu zur Memurubu oder weiter zum Gjendesheim wandern. Ein klasse Service! (mehr Infos dazu am Ende des Artikels in den Fakten)
Somit sind wir so ziemlich die Letzten, die sich auf den Weg machen. Da es bei dieser Tour aber nicht um DEN einen Gipfel geht, ist bei diesem Trip definitiv der Weg das Ziel…. Let’s Go!
Der Aufstieg
Die Tour beginnt nicht gerade sanft, sondern mit einem steilen Aufstieg den wir ja bereits kennen. Allerdings entschädigt die Aussicht auf den Gjende See und die umliegenden Berge zu jeder Zeit. Hat man die ersten zwei Kilometer geschafft gabelt sich der Weg: einmal nach links in Richtung der Berghütte Glitterheim (diese Tour sind wir 2013 gegangen) oder geradeaus über den Bessegengrat. Ein bisschen mulmig ist Sirko schon und wir hoffen beide, daß die Überquerung gelingt.
Es geht immer weiter bergauf, allerdings nicht mehr ganz so stark ansteigend. Wir sind ständig am Rumdrehen um die grandiose Aussicht hinter uns zu bestaunen. Nach unzähligen Fotostopps erreichen wir über einer Kuppe einen kleinen See, bevor der Pfad wieder ansteigt. Einige Wanderer entschließen sich hier zu einer ersten Pause. Kinder spielen am Wasser, andere genießen einfach die Aussicht. Für uns geht es weiter, bis hinter der nächsten Kuppe ein größerer See, der Bjørnbøltjønne erscheint. Die Szenerie ist beeindruckend, auf der einen Seite der Gjende mit seinem türkisfarbenen Gletscherschmelzwasser, auf der anderen Seite das kristallklare Wasser des Bjørnbøltjønne.
Der schmale Pfad führt uns mittendurch und ist damit für uns ganz klar der „Kleine Besseggengrat“. Auch hier machen viele Wanderer Rast. Einige Mutige nehmen sogar ein Bad im Bergsee – brrrr, für uns definitiv zu kalt. Nun wandern wir dem Sensengrat, wie der Besseggengrat wörtlich übersetzt wird, unausweichlich entgegen. Nach einem weiteren kurzen Anstieg hat man zum ersten Mal freie Sicht auf den Grat und Sirko ist gar nicht mehr entspannt. Wir gehen weiter und der Weg führt erst einmal etwa 200 Meter hinab zum Ufer des wohl meist fotografierten Sees in Norwegen, dem Bessvatnet.
Stunde der Wahrheit – vor dem Besseggen
Hier wird der Weg erstmals spektakulär, denn einen wirklichen Weg hinunter zum Bessvatnet kann man nicht erkennen. Nach einer kleinen Rutschpartie auf dem Allerwertesten, erreichen wir aber das Ufer . Der See lädt zum Fotografieren ein, doch Sirko hat nur noch wenig Interesse. Hier am Ufer sehen wir einen Blumenstrauß und die Fotografie eines älteren Mannes, der hier im Juni 2018 tödlich verunglückt ist, weil er dem Gegenverkehr ausweichen wollte. Da wird einem ganz schön mulmig… Wir halten, ergriffen von dem Schicksal des Mannes, kurz inne.
Nun ist es soweit! Wir stehen vor der eigentlichen Herausforderung – dem Besseggengrat. Es gibt tatsächlich noch eine alternative Route östlich um den See herum, die Sirko sofort gehen will. Oje, ob das gut geht? Für Menschen mit Höhenangst ist dieser Abschnitt tatsächlich Horror. Links und rechts vom “Weg” geht es steil ab, man muss klettern, findet öfter keinen sicheren Halt und ständig kommen einem Wanderer aus der anderen Richtung entgegen. Dadurch “staut” es sich auf dem Weg nach oben, was es nicht leichter macht. Trotzdem spreche ich ihm Mut zu und tatsächlich, er will es versuchen.
Doch schon nach kurzer Zeit – die erste Blockade und damit Stillstand. Sirko denkt, er schafft es nicht, doch ich bin mir sicher, wir bekommen das hin. Nach einiger Zeit versuchen wir das nächste Teilstück. Allerdings wird der Weg nicht einfacher… Sirko will fast aufgeben, doch da kommt die “Rettung” in Person eines Einheimischen, der die Tour kennt. Im Schlepptau hat er bereits eine Norwegerin, die ebenfalls Höhenangst hat und ganz schnell Sirko`s neue Freundin wird. Zu dem netten Mann mit der beruhigenden Stimme und der offensichtlichen Ortskenntnis fast Sirko sofort Vertrauen. Der Norweger lotst die Beiden auch souverän nach oben. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ohne diese Hilfe hätten wir es nicht geschafft. An dieser Stelle noch einmal 1000 Dank. Tusen takk!
Geschafft!!!
Als wir endlich oben sind, ist die Freude umso größer. Sirko und die Norwegerin, Ester fallen sich in die Arme . Die Beiden können wirklich stolz sein. Natürlich muss auch ein Jubelfoto her. Wir verabschieden uns nach einem kurzen Gespräch, denn wir wollen an diesem Platz mit der grandiosen Aussicht noch eine Pause machen. So sitzen wir eine ganze Weile, beobachten Wanderer die den schmalen Grat ebenfalls überwinden. Darunter sind sogar auch kleine Kinder. Unglaublich! Dann wird es langsam ruhiger , aber wir sitzen immer noch und genießen den Blick auf die beiden Seen, die unterschiedlicher nicht sein können.
In der Ferne die schneebedeckten Gipfel des Jotunheimen, die das Panorama perfekt machen. Der nachfolgende Weg bis zum höchsten Punkt, ist dann nicht mehr so spannend. Doch die Tour hält dennoch ein weiteres unvergessliches Erlebnis für uns parat. Während wir dem Weg folgen und erzählen, kreuzt ganz plötzlich eine Herde Rentiere unseren Weg. Wir brauchen zwei, drei Sekunden bevor wir die Kameras zücken und drauf los fotografieren. Boah, damit hätten wir nicht gerechnet. Die Tiere sind nicht sehr scheu. Wir kommen bis auf wenige Meter heran, ohne das sie sich gestört fühlen. Sirko muss schon mit Engelszungen reden, um mich zum Weitergehen zu bewegen. Doch nicht lange, da stoßen wir auf eine weitere Herde. Was für eine grandiose Tour. Die bleibt in Erinnerung – ganz sicher.
Auf der Ziellinie
Der Abstieg lässt sich leicht bewältigen, bis auf ein Stück unwegsames Gelände mit einer Kette, an der man sich abseilen muss. Ist dieses Stück überwunden ist es auch gar nicht mehr weit. Man kann schon wieder auf den Gjende blicken, der bereits im Schatten liegt und trotzdem nicht weniger beeindruckend ist.
Ein wunderschöner Bergsee, umgeben von den majestätischen Gipfeln an seinen Ufern. So trotten wir in bester Laune der Gjendesheim Fjellstue entgegen. Der Abstieg zieht sich noch etwas hin, aber wir können fast die ganze Zeit unser Ziel, den Ausgangspunkt an der Hütte Gjendesheim, sehen.
Nach ca. 10 Stunden haben wir endlich unser Ziel erreicht und sind entsprechend überglücklich…. Wir wissen nicht, ob wir diese Tour noch einmal gehen würden oder auch können – aber sie bleibt in jedem Fall unvergesslich und ist traumhaft schön 🙂
Alle Fakten / Details: Wanderung über den Besseggen / Jotunheimen
- Strecke: 13,5 Kilometer eine Wegstrecke
- Zeit: offiziell ca. 8 Stunden
- Beste Zeit für diese Tour: Juni – September
- Einstufung: norwegische Einstufung “ROT” = Krevende (Details zu den Einstufungen findet ihr hier in diesem Beitrag)
- Parkplatz: an der Berghütte / Fjellstue Gjendesheim (entweder auf dem Langzeitparkplatz, etwas von der Hütte entfernt oder auf dem kleineren 24 h Parkplatz an der Hütte)
- Tickets für das Boot zwischen den Hütten auf dem See sollten auf der Homepage gjende.no vorab gekauft werden. Dort findet man auch den Fahrplan der Boote.
- Hinweis für Kombinationen / längere Touren: Die Boote nehmen zwischen den Hütten Memurubu, Gjendebu und Gjendesheim die Rucksäcke gegen einen geringen Obolus mit. Einfach in der Hütte einen Gepäckanhänger kaufen, Ziel (nächste Hütte) darauf schreiben, am Rucksack befestigen und diesen am Bootsanleger am Platz für die Rucksäcke zur jeweiligen Hütte abstellen. Funktioniert sensationell und ist eine große Erleichterung.
- Du findest diesen Ausgangspunkt der Wanderung mit den folgenden Koordinaten: 61.495759, 8.809063
Eine Übersicht über die verschiedenen Schwierigkeitsgrade von Wanderungen in Norwegen und die Bedeutung im Detail erhaltet ihr in unserem ausführlichen Artikel zum Thema „Wandern in Norwegen“.
Übersichtskarte unserer Wanderung über den Besseggen
Literaturtipps für deine Wanderung im Jotunheimen
Equipment für die perfekte Wanderung
- Die passende Wanderausrüstung gibt es bei: GLOBETROTTER | BERGZEIT
Am 3.9.2016 sind wir die Tour von Gjendesheim zur Memurubu gelaufen und von da mit dem Schiff wieder zurück. Wir hatten Glück, dass wir das Schiff noch bekommen hatten, die letzten Meter mussten wir rennen. 9 Stunden, die ganz schön in den Knochen steckten. Vor allem der Abstieg zur Memurubu war hart für meine Kniegelenke. Das abgefahrendste Erlebnis beim Abstieg am Grad war die Hand einer Asiatin. Megalange, kunterbunte Fingernägel schoben sich um den Felsen auf der Suche nach einem Halt, so was Surreales hatte ich in dieser Gegend noch nicht gesehen. Dass die Dame statt Wanderstiefel so was ähnliches wie Balettschläppchen an den Füßen hatte, brauche ich eigentlich nicht mehr zu erwähnen…